4.
Lauf zur
Deutschen Straßenmeisterschaft
auf dem
Norisring
Zum 4. Lauf zur „Deutschen Straßenmeisterschaft" traten die
Solisten der Klassen bis 50, 350 und 500 ccm am Norisring in Nürnberg
an. Ursprünglich sollte dieses Rennen ein Lauf um den OMK-Juniorenpokal
werden — für 3 Klassen, so hatte es Gernot Leistner, der Rennleiter,
beantragt. Aber dann geschahen einige merkwürdige Dinge. Als der
Terminkalender herauskam, fanden die Nürnberger darin ihr Rennen
(ohne irgendeine Benachrichtigung seitens der OMK) als einfachen Lizenzlauf
für 3 Klassen — ohne Meisterschaftswertung. Auf eine schriftliche
Anfrage, in der auch die Enttäuschung über diese Art von Terminzuteilung
ausgedrückt wurde, kam von der OMK der Bescheid, daß man
3 Lizenzklassen zugeteilt habe, weil Läufe um den OMK-Juniorenpokal
mit nur 3 Klassen nicht mehr vergeben würden. Entweder alle Klassen
— oder keinen Wertungslauf. Bei der großen Anzahl der Anmeldungen
für Pokalläufe steht fest, daß die Junioren-Pokalläufe
beschränkt werden müssen. Sicher ist es nicht einfach, so
viele Termine zur Zufriedenheit aller unter einen Hut zu bringen, allein
schon deswegen, weil einige Motorradrennen mit Wagenläufen gekoppelt
sind, die gegebenenfalls schon international festliegen. Aber man fragt
sich, ob es richtig ist, einem Veranstalter, der termingerecht (im August
67) 3 Klassen als Wertungslauf für den OMK-Juniorenpokal anmeldete,
ohne Meisterschaftswertung 3 Lizenzklassen zuzuteilen, und das an einem
Wochenende, an dem ein Weltmeisterschaftslauf (Assen) und ein Bergrennen
mit Wertung zur Deutschen Meisterschaft für einige Klassen (Rotenburg/Fulda)
stattfinden. So viele Veranstaltungen haben die Lizenzler doch auch
wieder nicht, gleich gar nicht auf echten Rundstrecken, denn neben der
Nürburgring-Südschleife, dem Motodrom und dem Norisring können
doch Mainz-Finthen und Wunstorf nur bedingt als „richtige" Rundrennstrecken
angesehen werden, von der jetzigen Avus ganz zu schweigen. Vielleicht
hätten die Nürnberger, die nachträglich die 3 Klassen
für einen Deutschen Meisterschaftslauf anmelden durften (international
war es ja sowieso zu spät), das alles leichter geschluckt, wenn
im Terminkalender nicht doch noch 2 Juniorenläufe für je 3
Klassen ausgeschrieben worden wären, nachdem man für den Norisring
diesen Modus verweigert hatte. Leistner versicherte, er hätte sofort
alle Ausweisklassen genommen, wenn er nur irgend etwas eher gehört
hätte. Der Riesenaufwand im Rahmen des „200-Meilen-Rennens"
für Wagen wäre dadurch auch nicht größer geworden,
denn die Sperrung der Strecke wäre auch am Freitag schon möglich
gewesen.
Ob es obendrein noch richtig war, die 50er Klasse statt der attraktiven
Seitenwagen fahren zu lassen, steht auf einem anderen Blatt.
Weitaus erfreulicher als das oben Gesagte war die neue Fahrbahndecke,
die der Norisring noch kurz vor dem Rennen bekommen hat. Bei Regen wäre
sie wohl sehr glatt geworden, es wäre aber auch die Pfützen-
und Wasserlachenbildung ausgeblieben, auf die einige böse Unfälle
der letzten Zeit zurückzuführen waren.
Zeit zum Training stand ausreichend zur Verfügung. 2 Stunden für
freies Training, 1,5 Stunden für das Pflichttraining am Samstag
und 0,5 Stunden Nachtraining am Sonntagmorgen für die Fahrer, die
von Assen kamen — mehr kann man bei einem mit Wagen kombinierten Rennen
kaum verlangen.
Anscheidt (2:04,2), Schmälzle (2:05,8) und Kunz (2:11,8), die 3
„Holländer", waren die Schnellsten der 50er Klasse. Starten
durften hier alle Fahrer, da ohnehin nur 10 anwesend waren.
Bei wolkenlosem Himmel und Temperaturen von fast 30° im Schatten
säumten etwa 40 000 Zuschauer (es wurden bis zum Mittag nahezu
60 000) die Strecke, als sich das Feld der 50er Klasse an der Startlinie
aufstellte. Der eindeutige Favorit, Anscheidt, hatte keinen guten Start,
und Schmälzles Maschine sprang erst an, als das Feld schon eine
Weile im „Schlauch" entschwunden war.
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Aber
schon eingangs der S-Kurve an der Steintribüne lag Anscheidt mit deutlichem
Vorsprung an der Spitze. Diese Position konnte er auch bis ins Ziel, völlig
ungefährdet, halten. Bald schon fehlte Rudolf Kunz, dessen Kreidler
streikte, aber es sollte dies der einzige Ausfall dieser Klasse bleiben.
Das war ganz gut so, denn auf der Riesenfläche vor der Steintribüne
wirkten die neun Verbliebenen ohnehin etwas verloren. Unter den Fahrern
freilich kam keine Monotonie auf, denn Faßbender und Noller lieferten
sich ein packendes Duell mit ständigen Positionswechseln bis ins Ziel.
Noch hinter der Tribüne führte Noller, aber kurz vor der Ziellinie
ging Faßbender aus dem Windschatten heraus an ihm vorbei. Im ganzen
gesehen stand aber dieser Lauf im Zeichen eines Mannes: Rudolf Schmälzle,
als Letzter vom Start weggekommen, fuhr eines seiner schönsten Rennen.
In der 4. Runde schon Sechster, schloß er in der 6. Runde zu den Kampfhähnen
Noller und Faßbender auf, balgte sich noch eine Weile mit ihnen, um
sich in der 8. Runde endgültig vor sie zu setzen, stetig seinen Vorsprung
zu ihnen vergrößernd. Dieser zweite Platz war wirklich verdient,
der Sonderbeifall des Publikums ließ daran keinen Zweifel.
Besonders auffallend war, daß das Publikum jeden Fahrer, der die Ziellinie
überfuhr, mit großem Beifall bedachte, in einer Art, wie man
das sonst nur von Rennen in Südeuropa kennt.
Ergebnis der Klasse bis 50 ccm (13 Runden = 51,22 km):
1. H. G. Anscheidt, Gerlingen (Suzuki), 27:23,7 min = 112,18 km/h;
2. R. Schmälzle, Lienzingen (Kreidler), 27:58,6 min;
3. L. Faßbender, Düsseldorf (Kreidler), 28:26,1 min;
4. E. Noller, Schwieberdingen (Kreidler), 28:26,9 min;
5. W. Gedlich, Wald-Erlenbach (Kreidler), 29:14,5 min.
Schnellste Runde: Anscheidt mit 2:03,4 min = 114,94 km/h.
Meisterschaftsstand: 1. Anscheidt (26 Punkte); 2. Faßbender und Kunz
(je 18 Punkte).
Bei den 350ern war Karl Hoppe im Training 1 Sekunde schneller als Nerger,
hinter dem sich Thurow, Sommer, Görgen und Heukerott qualifizierten.
Rennleiter Leistner übernahm für die Überschreitung der höchsten
Starterzahl (21 Fahrer) persönlich das Risiko und ließ alle Genannten
(25) zum Start zu! So bot sich ein imposantes Bild, als sich das Feld geschlossen
auf die 26 Runden-Reise begab. Als Erster kam Hoppe aus der Startrunde zurück,
dahinter ein dichter Pulk mit Sommer, Kern, Görgen, Nerger und Eccarius.
Der in der Meisterschaft führende Heukerott war erst im hinteren Feld
vom Start weggekommen und mußte sich durch das Feld nach vorn durcharbeiten.
An der Spitze fuhr ruhig und gleichmäßig Hoppe, dafür war
hinter ihm eine zünftige Motorradschlacht im Gange, fast etwas zu hart
ausgetragen, denn in der S-Kurve kam es einige Male zu Berührungen,
die aber alle ohne
Sturz ausgingen. Eine Kollision betraf die bestechend fahrenden Eccarius
und Scharenberg. Letzterer war auch aus dem Mittelfeld nach vorn gekommen
und lag mit Eccarius zusammen, als sie sich berührten, was zum Ausfall
von Eccarius führte. Vom 5. Platz in der 6. Runde kämpfte sich
Scharenberg bis in die 12. Runde auf Platz 3 vor — drei Runden später
mußte er aufgeben. Zu diesem Zeitpunkt hatte Heukerott zu dem Pulk
aufgeschlossen und mischte nun kräftig mit um die Plätze 2 bis
5. In der maschinenmäßigen Reihenfolge Aermacchi (Sommer), Honda
(Heukerott, Nerger) und nochmal Aermacchi (Kern) endete diese Auseinandersetzung
hinter Hoppe. 9 Fahrer beendeten das Rennen in der gleichen Runde, 14 kamen
insgesamt ins Ziel.
Ergebnis Klasse bis 350 ccm (26 Runden = 102,44 km):
1. K. Hoppe, Diekholzen (Aermacchi), 45:48,1 min = 134,2 km/h;
2. W. Sommer, Köln (Aermacchi), 46:30,4 min;
3. H. Heukerott, Frankfurt (Honda), 46:36,1 min;
4. A. Nerger, Köln (Honda), 46:36,8 min;
5. W. Kern, Mannheim, (Aermacchi), 46:46,4 min.
Schnellste Runde: H. Scharenberg (Suzuki) 1:43,9 min = 136, 52 km/h.
Meisterschaftsstand:
1. Heukerott (25 P.);
2. Hoppe (25 P.);
3. Görgen (23 P.).
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Nicht ganz so stark
wie die Klasse bis 350 ccm war die Klasse bis 500 ccm besetzt; es stellten
sich nur 16 Fahrer zum Start auf.
Rupert Bauer (1:41,6) war mit 2 Sekunden Abstand zum nächsten,
Ferdinand Kaczor (beide BMW-Stoßstangenmotoren!) Schnellster im
Training gewesen. In der weiteren Reihenfolge nahmen Rosenbusch (Norton),
Döhmann (BMW), Scheimann (Norton), Hoppe (Matchless), Allner (Matchless)
und Eickelberg (Norton) die nächsten Startplätze ein. Bis
auf Rupert Bauer kam das Feld ganz dicht weg. Im Nachschauen konnte
man vom Fotografenstandplatz in der S-Kurve plötzlich im Schlauch
eine riesige Staubwolke sehen. Die Befürchtung, daß etwas
passiert sei, bestätigte sich leider, als das Feld zurückkam
und einige Fahrer fehlten. Kurz darauf begaben sich ein Clinomobil,
Krankenwagen und Fahrzeuge der Rennleitung in Richtung Unfallstelle.
Zwischen ihnen das trotz gelber und weißer Flaggen unverständlicherweise
voll weiterfahrende Feld. Einen Moment schien es, als hätte man
im Schlauch die Fahrer gestoppt, weil sie in der 2. Runde länger
ausblieben, doch war die Durchfahrt nur durch die Arbeiten an der Unfallstelle
verzögert worden. Was genau geschehen war, wird sich wohl kaum
100%ig klären lassen, erstens, weil die Unfallstelle in der Sperrzone
lag, und zweitens, weil kaum einer der folgenden Fahrer etwas sah und
alles zu schnell ablief. Allem Anschein nach soll Hartmut Allner versucht
haben, Max Raab aus dem Windschatten heraus zu überholen. Hierbei
muß er das Hinterrad von Raabs Bianchi berührt haben, und
Raab stürzte, wobei das Motorrad noch einige Male vor dem ganzen
Pulk auf der Strecke herumflog. Niemand hatte bemerkt, daß Allner
durch die Kollision von der Strecke abgekommen war, ca. 150 m über
den Grünstreifen zwischen den beiden Fahrbahnen fuhr und erst dann
zu Fall kam.
Raab und Allner wurden sofort ins Krankenhaus gebracht. Bei Hartmut
Allner war eine sofortige schwere Operation notwendig — aber alle Kunst
der Ärzte war vergebens. Wenige Stunden nach dem Unfall erlag er
seinen Verletzungen, unfaßbar für alle, die ihn kannten.
Die Verletzungen Raabs erwiesen sich als nicht ganz so schwer, wie bei
dem gefahrenen Tempo zu befürchten war. Zwei Tage später konnte
er in eine Klinik seiner Heimatstadt München überführt
werden. Verständlicherweise stand der weitere Verlauf im Zeichen
des Unfalls. Aber Hoppe, Scheimann, Rosenbusch und Kaczor fuhren ein
Rennen, das das Geschehene für eine Weile vergessen ließ.
Diese vier kämpften um jeden Meter, dauernd wechselnd, bis es Rosenbusch
gelang, sich 10 bis 15 Meter abzusetzen. In der 19. Runde sah es aus,
als hätte Rosenbusch im Rechtsbogen der S-Kurve seinen Schalthebel
beschädigt, denn er „fand" nach der Kurve keinen Gang, und
sofort waren die anderen drei da. Aber im gleichen Augenblick begann
Hoppes Maschine, auf gleicher Höhe wie Rosenbusch, zu stottern
und zwang ihn zur Aufgabe. Scheimann und Kaczor zogen davon, Rosenbusch
suchte die Boxen auf, um mit erheblichem Rückstand wieder ins Rennen
zu gehen. Der Defekt schien nicht ganz behoben, denn wenn er vorbeifuhr,
roch es verdächtig nach verbrannter Kupplung. Zu allem Unglück
„verlor" Kaczor einen Zylinder seiner BMW, wodurch Scheimann ungefährdet
das Rennen zu Ende fahren konnte; mit ihm waren noch Eickelberg und
Döhmann in der gleichen Runde. Bis auf weitere drei Fahrer (Nerger,
Kochanski und Rosenbusch) beendete keiner mehr das Rennen. Ein Großteil
war wohl der großen Hitze zum Opfer gefallen.
Ergebnis Klasse bis 500 ccm (26 Runden = 102,44 km):
1. W. Scheimann, Bremen (Norton), 45:09,1 min = 136,13 km/h;
2. P. Eickelberg, Wuppertal (Norton), 45:46,5 min;
3. D. Döhmann, Hessendorf (BMW), 45:57,1 min;
4. A. Nerger (1 Rd. zur.);
5. U. Kochanski (l Rd. zur.);
6.
H. Rosenbusch (l Rd. zur.).
Schnellste Runde: H. Rosenbusch (Norton) 1:40,2 min = 141,56 km/h.
Meisterschaftsstand: 1. Scheimann (31 Punkte); 2. Rosenbusch (30 P.);
3. Nerger (25 P.).
Der traurige Zwischenfall wirft natürlich einen schweren Schatten
auf die Veranstaltung. Es soll aber um so mehr betont werden, daß
bisher noch nie die Behandlung seitens der Nürnberger Funktionäre
so entgegenkommend und freundlich, fast familiär war wie in diesem
Jahr. Hoffentlich bleibt der Motorsportclub bei seinem Vorhaben, im
nächsten Jahr statt eines Tourenwagenrennens als zweite Jahresveranstaltung
ein international groß besetztes Rennen nur für Motorräder
und Gespanne durchzuführen, so wie es in Nürnberg früher
Tradition war. Die Sympathie des Motorradsport-Publikums wäre dem
MCN sicher.
R. Scharfenberg
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